Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Verzinsung nach § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2015
Der BFH-Beschluss vom 25.04.2018 IX B 21/18 ist für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2015 (nur) auf Antrag des Zinsschuldners in allen Fällen anzuwenden, in denen gegen eine vollziehbare Zinsfestsetzung, in der der Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO zugrunde gelegt wird, Einspruch eingelegt wurde. Unerheblich ist dabei, zu welcher Steuerart und für welchen Besteuerungszeitraum die Zinsen festgesetzt wurden.
Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes soll nach § 361 Abs. 2 Satz 2 AO grundsätzlich ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Die angeordnete Gewährung der Aussetzung der Vollziehung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2015 ist nicht dahingehend zu verstehen, dass die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder die Verfassungsmäßigkeit des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO bezweifeln. Angesichts der bisherigen Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Verzinsungsregelung (vgl. Beschlüsse vom 03.09.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV S. 2115, sowie 1 BvR 1098/08, HFR 2010 S. 66) ist ungewiss, ob das Bundesverfassungsgericht in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 den Zinssatz von 0,5 % pro Monat bei einer neuerlichen Prüfung unter Berücksichtigung der weiteren Marktzinsentwicklung in den letzten Jahren nun als verfassungswidrig einstufen wird.
Für Verzinsungszeiträume vor dem 01.04.2015 ist Aussetzung der Vollziehung nach § 361 Abs. 2 Satz 2 AO nur zu gewähren, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte und im Einzelfall ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers zu bejahen ist.
Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheids eintretenden Eingriffs beim Zinsschuldner und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21.11.2013 II B 46/13, BStBl 2014 II S. 263; vom 27.08.2002 XI B 94/02, BStBl 2003 II S. 18; vom 20.07.1990 III B 144/89, BStBl 1991 II S. 104, und vom 20.05.1992 III B 100/91, BStBl II S. 729).
Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehenden Geltungsanspruch der formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Zinsvorschriften ist für Verzinsungszeiträume vor dem 01.04.2015 der Vorrang einzuräumen. Denn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung würde im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung dieser Zinsvorschriften führen, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen sind als eher gering einzustufen und der Eingriff hat keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen (vgl. BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II S. 558).
(BMF-Schreiben vom 14.06.2018 – IV A 3 – S 0465/18/10005-01)